Quotenmeter
Sonntagsfragen Teil 1 und 2
3. September 2015 und 4. September 2015
Florian Froschmayer: 'Ich finde, dass den Filmen oft unrecht getan wurde'
Zur Person
Der 1972 in Zürich geborene Regisseur und Drehbuchautor Florian Froschmayer ist ein filmischer Autodidakt: Ohne eine Filmschule besucht zu haben, verschlug es den ausgebildeten kaufmännischen Angestellten zum Schweizer Fernsehen, wo er als Cutter seine Anfänge in der Branche nahm. 1999 und 2002 brachte er je einen Film ins Kino, seit 2003 ist er gefragter Fernsehkrimi-Macher.
Als «Tatort»-Regisseur drehen sie ja einen Film einer Reihe, die wiederum Teil einer Dachmarke ist … Gibt es da Richtlinien, die befolgt werden müssen?
Es ist nicht so, dass es ein Regelbuch gibt, das den Regisseuren überreicht wird und übergreifend für jede «Tatort»- Reihe gilt. Ein solches Regelwerk gibt es aber durchaus in ganz spezifischer Form für manche «Tatort»-Teams, darunter auch die Schweizer. Das ist die sogenannte Bibel, und darin stehen die alten Fälle, die Grundlagen, was die Konstellation der Figuren untereinander anbelangt. Das ist aber mehr ein Rezeptbuch, das einem helfen soll, die Figuren filmübergreifend stringent zu bedienen.
Das heißt also, dass Sie als Regisseur nicht wissen, was in kommenden Filmen mit den Figuren passieren wird
Genau.
Im Grunde bedeutet das, dass Sie als Regisseur an eine «Tatort»-Folge herangehen können wie bei einem komplett allein stehenden Film?
Ja, schon. Es ist natürlich so, dass die Kommissare einen bestimmten Umgang miteinander pflegen, was man auch vor dem Hintergrund des eigentlichen Kriminalfalls bedienen sollte. Das ist allgemein so beim «Tatort», dafür gibt es eben diese Bibel. Aber in 99 Prozent der Fälle weiß ich als Regisseur nicht, was auf die Figuren noch zukommt, und in vielen Fällen ist es auch nicht so dramatisch, wenn man nicht das bedient, was in dem Film direkt davor geschehen ist. Wie etwa nun bei «Ihr werdet gerichtet»: Die Figur des Flückiger kämpfte einige Folgen lang mit den Symptomen eines Burnouts, was im letzten Fall aber mehr oder weniger aufgelöst wurde, und für meinen Film spielte das dann gar keine Rolle mehr.
Und wie verläuft beim «Tatort» die Terminkoordination? Wann haben Sie erfahren, dass Sie mit Ihrem «Tatort» die neue Saison eröffnen?
Sehr kurzfristig.
Geht damit ein größerer Erwartungsdruck einher, als bei einem anderen Sendetermin?
Sicherlich. Auch wenn ich versuche, die Einschaltquoten nicht zu persönlich zu nehmen, weil da einfach sehr viele Faktoren eine Rolle spielen. Was läuft im Gegenprogramm, wie stark scheint die Sonne, hat Griechenland an dem Tag noch ein Rettungspaket bekommen, weshalb ein immens gefragter «Brennpunkt» direkt vor dem «Tatort» läuft und die Leute dann keine Lust mehr auf Krimi haben…? Natürlich ist auch eine Frage, wie beliebt die Kommissare generell beim Zuschauer sind, was ja auch nur bedingt im Einfluss des Regisseurs liegt. Klar ist: Je herbstlicher das Wetter ausfällt, desto besser wird der Film laufen. Der Staffelstart ist daher leider ein eher schwieriger Termin.
In einem früheren Presseinterview merkten Sie an, dass der «Tatort» zu den letzten Formaten in Deutschland gehört, das noch immer aktuell sein darf. Geht mit der höheren Aktualität auch ein gesteigerter Zeitdruck bei der Produktion einher?
Nicht unbedingt. Ich hatte bloß einmal vor wenigen Jahren die Situation, dass ich gebeten wurde, für die ARD-Themenwoche einen Themen-«Tatort» zu machen. Da stand erst der Sendetermin fest, dann das Thema und dann wurde das Buch entwickelt... alles in verhältnismäßig kurzer Zeit. So etwas ist allerdings die absolute Ausnahme. Viele «Tatort»-Folgen werden über viele Jahre hinweg entwickelt. Bei «Ihr werdet gerichtet» jetzt ist es tatsächlich so, dass ich als Regisseur auch sehr spät dazu gestoßen bin, und da war der Zeitdruck dann etwas höher als im Normalfall, weil meine Vorbereitungszeit kürzer war. Druck entsteht aber immer. Je näher der Drehstart rückt, desto hektischer wird es. Letzte, kleine Buchänderungen haben oft große Auswirkung auf die Logistik und die technische Seite.
Sie haben ja mit mehreren «Tatort»-Teams bereits Erfahrung gesammelt. Haben Sie in der Zusammenarbeit mit den verschiedenen ARD-Anstalten Unterschiede ausmachen können, wie an Sie in ihrer Position als Regisseur herangegangen wird?
Ja, total. Da hat jeder so seine eigene Art und Weise, mit den Kommissaren umzugehen, seine eigene Art und Weise, das Format zu definieren, und somit konsequenterweise auch seine eigene Art und Weise, an den Regisseur heranzutreten. Das äußert sich insbesondere in den verschiedenen Konstellationen, die sich da ergeben. Beim SWR etwa dreht man grundsätzlich mit dem hauseigenen SWR-Team, beim Schweizer Fernsehen oder auch beim NDR hingegen kann man durchaus seine Crew mitbringen oder zusammenstellen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Ich könnte aber nicht sagen, die eine Anstalt geht mit uns Regisseuren besser um als die andere.
Bedeutet das denn, dass Sie bei Anstalten wie dem NDR, wo Sie ihr Team selber auswählen, auch künstlerisch an der längeren Leine gehalten werden?
Nein. Der Unterschied äußert sich auf andere Weise: Dass ich selber Leute mitbringen kann, bewirkt, dass bei der Arbeit die Kommunikationswege kürzer sind, weil man sich bereits kennt und daher schneller versteht. Wenn man wiederum zu einem bereits bestehenden Team hinzustößt, das man nicht kennt, kann das oftmals eine sehr befruchtende Wirkung haben. Ich finde daher nicht, dass eines der beiden Modelle mehr Vorteile bringt als das andere.
Welche inszenatorischen Eigenheiten haben Sie dem kommenden «Tatort» mitzugeben versucht?
Eigentlich gar keine. Ich habe nur versucht, einen packenden, schnellen Film zu machen, der emotional ist, gut unterhält und den Krimizuschauer danach zufrieden zu Bett gehen lässt. Das war mein Ansatz, und ich hatte das Glück, mit Urs Bühler einem sehr akribischen Autor zusammenzuarbeiten. Mit Urs hatte ich noch bis kurz vor Dreh konstruktive Auseinandersetzungen, bei denen wir beide nicht müde wurden, das Beste für das Projekt zu erarbeiten. Ich finde es immer schön, wenn ich mit einem Autor bis zur letzten Sekunde am Feinschliff sitzen kann. Das Besondere an unserem «Tatort» ist der Inhalt, weil wir von der ersten Minute an den Täter kennen, und die Frage verschiebt sich daher vom „Wer?“ zum „Warum?“ und „Wie finden die Kommissare das heraus?“, was gerade bei diesem Figurenpersonal sehr reizvoll ist.
Haben Sie eine Erklärung, weshalb das Schweizer «Tatort»-Team bislang eher weniger vom Quotenglück verfolgt wurde?
Sie hatten damals einen schwierigen Start mit dem ersten Film und dann wurde in Deutschland oft die Synchronisation zum Thema gemacht und man hat gar nicht mehr darüber geredet, ob der Film gut oder schlecht ist. Ich finde, dass den Filmen da oft unrecht getan wurde. Deutschland ist ein Synchronland, die Hörgewohnheit beim Zuschauer ist gegeben. Nur ist der «Tatort» aber ja im Empfinden des Zuschauers eine deutsche Produktion, darum wirkt die Synchronfassung auf dem Sendeplatz in dem Format vielleicht zusätzlich befremdlich. Dazu kommt in meinen Augen, dass die Synchronarbeit ein Fachgebiet des Schauspiel- und Regieberufs ist. Viele großartige Filmschauspieler tun sich total schwer mit synchronisieren. Ich sage jetzt nicht, dass die Schweizer Schauspieler das nicht können, aber sie klingen natürlich anders, als ein Synchronsprecher, der 300 Tage im Jahr synchronisiert. Somit kommt halt etwas raus, was nicht unbedingt der Hörgewohnheit des Zuschauers entspricht... und schon wird über die Synchronarbeit gesprochen und nicht über den Film. Ich bin mir sicher, würden die «Tatorte» aus der Schweiz z.B. auf den Sendeterminen der Schweden-Krimis und nicht unter dem Label «Tatort» laufen, würde keiner über die Synchronfassung sprechen.
Wissen Sie, ob die Sender daher nicht auch in Erwägung ziehen, 'Fremdsynchronisationen' durchzusetzen, also die Schauspielern durch erfahrene Synchronsprecher vertonen zu lassen? Diane Krueger synchronisiert sich ja auch nicht mehr durchweg selbst…
Es gibt viele unterschiedliche Ansichten diesbezüglich. Ich habe auch das angeregt, für kleinere Rollen. Es ist aber natürlich auch ein großer Wunsch von den Schweizer Schauspielern, sich selbst zu sprechen, weil der «Tatort» eine große Plattform ist, mittels derer sie in Deutschland Bekanntheit erlangen können. Und auch vom Sender aus, beziehungsweise von der ARD Degeto, kommt der Wunsch: Wenn wir schon einen «Tatort» aus der Schweiz haben, soll da auch eine gewisse Färbung raus zu hören sein, das ist ja dann auch ein Alleinstellungsmerkmal… Das ist schon ein Drahtseilakt, dem sich alle stellen müssen. Ich bin sehr glücklich mit unserer Fassung.
Die «Tatort»-Folge «Ihr werdet gerichtet» hat ja noch eine produktionstechnische Besonderheit: Sie entstand mit der neuen Filmproduktionssoftware SCRIPTtoMOVIE, die Sie entwickelt haben. Was hat es mit diesem Tool auf sich?
Ich habe SCRIPTtoMOVIE parallel zu meiner Regietätigkeit aus einem eigenen tiefen Bedürfnis raus entwickelt. «Ihr werdet gerichtet» war der dritte Test-Film, den ich damit vorbereitet und gedreht habe. Im September kommt die Software dann auch auf den Markt. Es ist genauer gesagt eine Pre-Produktionssoftware, und durch sie wird ein gesamtes Filmteam in einem projektbezogenen Netzwerk miteinander verbunden. Ich kann da ein Projekt anlegen und mich als Regisseur anmelden, ich kann damit aber auch als Kameramann oder Regieassistent arbeiten – oder in jeglichen anderen Funktionen. Denn die Software passt automatisch die Benutzeroberfläche den Bedürfnissen an, die ich aufgrund meiner jeweiligen Position beim Film habe. Jeder kann seine Vorbereitungen bei SCRIPTtoMOVIE einpflegen. Da alle in den gleichen Datenpool einpflegen, muss alles nur noch einmal eingegeben werden. Dadurch verkürzt sich die Kommunikation, und die Zeit, die wir dadurch einsparen, dass wir nicht unentwegt Mails schreiben und irgendwelche Listen kopieren müssen, können wir damit verbringen, kreativ zu sein.
Das bedeutet also gewissermaßen: Mit Ihrer Software gibt es weniger Bürokratie im Team ...
(lacht) Ja, genau, so kann man das sagen, das war die Idee und der Wunsch.
Demnächst läuft Ihre Romantikkomödie «Süßer September» im Fernsehen. Wie sind Sie zu diesem Projekt gestoßen?
Wie die Jungfrau zum Kind. Das ist ein Projekt, bei dem ich angefragt wurde, ob ich es übernehmen möchte – genauer gesagt lief das über meine Agentin, die mich für den Film vorgeschlagen hatte. Mit dem «Tatort» hat «Süßer September» gemeinsam, dass ich ein sehr gutes Verhältnis zum Autor hatte, der große Unterschied aber war, dass das Skript im Grunde genommen schon drehfertig war, als ich hinzugestoßen bin. Nachdem ich unterschrieben hatte, haben wir zusammen nur sehr wenige Detailveränderungen vorgenommen. Das war einfach ein richtig schönes Drehbuch, und auch die Produktion selbst hat richtig Freude gemacht.
Was stand denn neben dem Drehbuch bereits fest, als Sie hinzugestoßen sind – und welche Entscheidungen mussten Sie bis zum Drehbeginn fällen?
Abgesehen vom Drehbuch kamen eigentlich noch sämtliche Entscheidungen auf mich zu. Nur Caroline Peters stand bereits als Hauptdarstellerin fest, die auch schon vor mir in der Entwicklung des Drehbuchs involviert war. Alles weitere musste sehr kurzfristig beschlossen werden. Wir mussten dann innerhalb eines sehr geringen Zeitfensters die komplette Crew und außer Caroline den kompletten Cast zusammenstellen. Dabei ist ein Team zusammengekommen, bei dem ich von wenigen Ausnahmen niemanden vorher kannte, glücklicherweise hat die Chemie aber sofort gestimmt. Auch ein Beispiel, wie ein Team was Du noch nicht kennst, Dich kreativ befruchten kann.
Die Dreharbeiten endeten meinen Informationen nach im Oktober 2014. Wie lange dauerte denn die Postproduktion? Wenn «Süßer September» erst jetzt ins Fernsehen gelangt, muss die ja sehr lange gewesen sein
Die Postproduktion haben wir am 18. Dezember 2014 abgeschlossen. Das ging alles sehr schnell, weil der Sender den Film noch vor Jahresabschluss fertiggestellt sehen wollten. Daher finde ich es echt erstaunlich, dass er erst jetzt anläuft. Er wurde auch auf dem Emder Filmfest gezeigt, wo die Reaktion sehr, sehr positiv war. Auch im Team sind wir sehr stolz auf das Endergebnis.
Ich bezweifle, dass es so geplant ist, aber: Dass «Süßer September» und ihr «Tatort» so kurz hintereinander laufen, ist immerhin eine gute Gelegenheit, um dem Publikum und der Branche vorzuführen, dass Sie sich nicht auf nur ein Genre spezialisieren…
Ja, das ist für mich eine außergewöhnlich schöne Situation. Als Regisseur wird man sehr schnell in eine Schublade gesteckt. Interessanterweise auch weniger aus der Sicht der Presse, sondern vor allem aus Sicht der Sender und der Produzenten. Da besteht oft der Gedanke, dass Regisseure nicht fähig sind, zwei so unterschiedliche Genres zu bedienen. Hinzu kommt in diesem speziellen Fall meiner beiden Filme, dass ich sehr glücklich damit bin, wie sie letztendlich geraten sind. Sowas beteuern zwar viele Regisseure, bei mir bedeutet das aber wirklich etwas, denn ich bin sehr, selbstkritisch.
Das ist spannend, das zu hören. Viele Medienmacher beteuern in Interviews ja, sie hätten all ihre «Kinder» gleich gern. Da Sie da ja anders ticken, können Sie spontan ihre Regiearbeiten nennen, mit denen sie am glücklichsten sind, und wo Sie das Ergebnis am meisten hassen?
Ich bin tatsächlich total in «Süßer September» verliebt. Gerade, weil es die Chance war, eine Komödie zu machen, die genau meinem Humor entspricht. Ich finde es immer sehr sehenswert, wenn aus einer authentischen, dramatischen Situation Witz entsteht, und nicht eine direkte Haudrauf-Komik gefahren wird. Ein Hassprojekt … (überlegt) Ich fürchte, "Hass" ist da das falsche Wort, denn wenn ich Filme mache, gebe ich stets vollen Einsatz. Da weckt "Hass" falsche Implikationen, das klingt so, als hätte ich mit Widerwillen meine Zeit auf dem Regiestuhl verbracht. Was aber sehr wohl vorkommt, ist, dass ich am Ende vor dem Film sitze und denke: "Mist, jetzt haben wir alle so gekämpft und Trotzdem wäre da noch so viel Potential drin gewesen." Es gibt sehr viele Faktoren, weshalb dieses Potential eventuell nicht ausgeschöpft wurde. Sei es, dass es zu Komplikationen durch Ort- oder Wettereinflüsse kam oder irgendwelche Konstellationen sich nicht so ausspielten wie erhofft. Das sind dann Filme, bei denen ich aufgrund der verschenkten Möglichkeiten unglücklich bin, aber natürlich versuche in zukünftigen Filmen die passierten Dinge zu vermeiden.
Autor: Sidney Schering