„Je weniger Geld ich für schlechte Organisation verbrenne, desto mehr bleibt für das Bild“

Deswegen hat der Regisseur Florian Froschmayer eine eigene Software programmiert, die das Filmemachen erleichtert.

Text: Alexander Krex 
Fotografie: Robert Rieger

„Tatort“: Folge 954, Ort: Luzern, Kommissar: Reto Flückiger, Minute 19: Der Mörder sitzt am Esstisch, die Kamera nähert sich der Küche, fokussiert seine Freundin. Sie wirkt unbeteiligt, schaut ins Nichts. Schärfeverlagerung auf sein Gesicht: schulterlange Haare, Pausbacken, Vollbart. Er blickt mit großen Augen in die Tageszeitung. Gegenschuss: In der Zeitung wird von einem Heckenschützen in Luzern berichtet, das abgedruckte Foto zeigt die Ermittler am Tatort.

Die Regie des „Tatorts“ mit dem Titel „Ihr werdet gerichtet“, der im November 2019 in der ARD lief, führte Florian Froschmayer. Wochen vor dem Dreh sitzt Froschmayer an den Vorbereitungen, er blättert sich Seite für Seite durch das Drehbuch. Zu der oben geschilderten Szene notiert er: „Tatort muss vor Küchen-Szene gedreht werden. Pressefoto nicht vergessen!“ Die Notiz wirkt sich auf den Drehplan aus, darauf also, wann was gedreht wird, wer gebraucht wird. Weil ein Film das Werk vieler Hände ist, müssen viele Menschen von dieser Notiz Kenntnis nehmen. Und weil es viele solcher Notizen gibt, müsste der Regisseur bei jeder Drehvorbereitung Hunderte E-Mails schreiben und Telefonate führen.

Um den Kommunikationsaufwand zu minimieren, hat Florian Froschmayer „Script to Movie“ entwickelt, ein Programm zur Drehvorbereitung, das auch beim Luzerner „Tatort“ zum Einsatz kam. Es ist eine projektbezogene Datenbank, die man mit allen relevanten Informationen füttert, die dann miteinander verknüpft werden – ein Kostüm mit einem Schauspieler mit einem Drehort mit einem Drehtag. Oder eben ein Ausstattungsdetail wie die Zeitung mit der Szene in der Küche. Ändert sich eine Variable – weil das Drehbuch angepasst wird oder der Drehplan modifiziert –, synchronisieren sich die abhängigen Variablen automatisch. So bleiben Regisseur, Kameramann, Regieassistent, Szenenbildner und Kostümverantwortliche immer auf dem Laufenden. Zudem hat jede Abteilung individuelle Zugriffs- und Änderungsrechte.

Einen Film zu drehen heißt vor allem: Komplexität zu bewältigen. Mit seinem Programm sei es ihm gelungen, den analogen Vorgang des Filmemachens zu digitalisieren, sagt Froschmayer. „Alle Listen sind immer aktuell. Vorher hat mich die Drehvorbereitung jedes Mal schlaflose Nächte gekostet.“ Für den Dreh wird eine Geschichte in ihre Einzelteile zerlegt und wieder neu zusammengepuzzelt. Je besser man das Puzzle überblickt, desto mehr Geld kann man sparen. „Ich habe nur Summe X zur Verfügung, um meine Vision eines Stoffs umzusetzen“, sagt er. „Und je weniger Geld ich für schlechte Organisation verbrenne, desto mehr bleibt für das Bild.“

Seit November 2015 ist sein Programm online, in die Entwicklung hat er anderthalb Jahre Arbeit gesteckt, dazu kommen Tausende Programmierer-Stunden. Gegen eine Gebühr kann jeder Filmschaffende das Programm verwenden. Allerdings ist die Nutzerzahl bislang überschaubar. Um die Sache groß aufzuziehen, sagt Froschmayer, hätte er seinen Job als Regisseur aufgeben müssen, um Script to Movie an lokale Märkte anzupassen. Ein Callcenter hätte es gebraucht, 24 Stunden erreichbar, besetzt mit Leuten, die das Programm in- und auswendig kennen – und etwas vom Filmemachen verstehen. „Es wurde wahnsinnig schnell wahnsinnig kompliziert“, sagt er.

Seine Hoffnung ist, dass eine große Firma seine Software übernimmt. Die deutsche Crew United etwa, eine Art Linkedin der Filmbranche, oder das amerikanische Pendant IMDb Pro. Den Medienschaffenden, die dort zusammengebracht werden, könnte man dann gleich noch ein Tool für die Drehvorbereitung an die Hand geben.

Dass Florian Froschmayer über den Schnitt zum Film kam, bestimmt seine Herangehensweise als Regisseur bis heute. Denn er lernte das Zusammenfügen einer Geschichte, bevor das digital funktionierte, bevor man mit Programmen wie Avid alles ausprobieren und jeden Schritt wieder verwerfen konnte. Anfang der Neunzigerjahre musste er die Szenen für einen Fernsehbeitrag passgenau hintereinanderhängen, um am Ende bei 1 Minute 30 zu landen. Ließ er zu Beginn ein Bild zu lange stehen, wurde er in der Mitte zu episch, wurde es am Ende zu knapp. Dann musste er vom Moment der Fehlentscheidung an wieder neu anfangen. Damit das so selten wie möglich passierte, habe er lernen müssen vorauszudenken, sagt er. Sich einen Plan zu machen, nicht ungefähr, sondern Bild für Bild, Szene für Szene, am besten sekundengenau.

Dieser Zwang zum Durchdenken prägt ihn noch immer. Ein Vorteil, glaubt er, denn was für einen Nachrichtenbeitrag gilt, gilt für einen 90-Minüter umso mehr: „Kosten kontrolliert man durch gute Vorbereitung. Bei spontanen Kürzungen im laufenden Dreh leidet meist die Qualität des Endproduktes.“ Dass er jeden Schritt unter Kontrolle behalten wolle, könne das Team aber auch belasten, sagt er. So achtet er etwa darauf, dass die Tage minimiert werden, an denen ein Schauspieler am Set sein muss. Oder dass das Team möglichst kurz in einer teuren Stadt wie Zürich ist, wo die Zürich-Krimis der ARD nun mal spielen, deren Kulisse man aber nur für die Außenaufnahmen braucht, während die Innen-Szenen in Prag aufgenommen werden.

Und auch wenn das alles sehr pragmatisch klingt: Florian Froschmayer ist kein Technokrat. Letztlich gehe es darum, durch akribische Planung kreativen Spielraum zu schaffen. „Je besser ich vorbereitet bin“, erklärt er, „desto flexibler kann ich am Drehtag sein.“ Dass er momentan nicht dreht, liegt nicht an der Corona-Zwangspause. Es ist eine lange geplante Auszeit, die er eigentlich in Los Angeles verbringen wollte. Nun beendet er sein Drehbuch eben in Berlin, eine filmische Biografie des Schweizer Skirennfahrers und Sportkommentators Bernhard Russi. Außerdem will er sich Gedanken machen, wie es für ihn weitergeht. „Ich arbeite gern im Auftrag, will aber auch wieder meine eigene Stimme finden“, sagt er. „Ich brenne für das Filmemachen wie am ersten Tag.“ ---

Florian Froschmayer wurde 1972 in Zürich geboren und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Bekannt ist er vor allem für seine Fernsehfilme. Sein Berufsleben begann mit einer Ausbildung zum Bürokaufmann, weil eine Ausbildung Voraussetzung fürs Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen in München war – die ihn dennoch ablehnte. Zum Film wollte er trotzdem. Er landete beim Schweizer Fernsehen, wo er Cutter lernte, und schrieb 1999 nebenbei mit einem Freund das Drehbuch für den Kinofilm „Exklusiv“, den die beiden mithilfe von Product Placement finanzierten. 2001 begann seine Regiearbeit in Deutschland für zahlreiche Serien („Küstenwache“, „Im Namen des Gesetzes“) und Fernsehfilme. Sein „Tatort“-Debüt hatte er 2008.

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